Kunstwerk als Idee und fertiges Produkt
Francesco Guardi erhielt den Auftrag, eine Ansicht des Canale Grande anzufertigen. Sein Werk ist ein fertiges Produkt, das am Ende eines langen Entstehungsprozesses steht, es ist materiell und greifbar.
Es sollten zwei Jahrhunderte vergehen, bevor genau diese Materialität eines Kunstwerks zum Thema in der Kunst wurde.
Konzeptuelle KünstlerInnen der 1970er Jahre stellten erstmal die Frage, was es bedeutet, ein fertiges Produkt in der Kunst herzustellen. Adrian Piper beispielsweise ging davon aus, dass ein Kunstwerk produziert wird, um eine Reaktion in dem/der BetrachterIn hervorzurufen. Das Kunstwerk sei dabei ein Katalysator zwischen der/dem KünstlerIn und der/dem BetrachterIn, dessen Wert daran gemessen werden kann, wie stark diese Reaktion sei.
Wenn das Kunstwerk ein fertiges Produkt ist, ist der Entstehungsprozess, der untrennbar mit der/dem Kunstschaffenden verbunden ist, aber nicht sichtbar. Sichtbar ist nur das, was am Ende steht. Die/der Einzige, die/der den ganzen Prozess kennt, ist die/der Künstlerin selbst. Es handelt sich um eine unvollständige Erfahrung, was zu einer Wertminderung des Kunstwerks führt.
Das Gemälde von Francesco Guardi zu betrachten, bedeutet in diesem Sinne, auch nur einen kleinen Teil der künstlerischen Arbeit zu sehen. Die Auseinandersetzung des Künstlers mit seinem Thema bleibt uns verborgen.
Adrian Piper setzte sich daher auch damit auseinander, wie genau dieser Arbeitsprozess sichtbar gemacht werden könnte. Sie sieht eine Möglichkeit darin, sich als Künstlerin der Konfrontation mit der/dem BetrachterIn auszusetzen. Dabei wird die/der Kunstschaffende zur Verkörperung des Prozesses - zum Kunstobjekt selbst.
Konsequenterweise beginnt Adrian Piper in ihrer Hypothesis – Serie, alltägliche Handlungen zu dokumentieren. Sie definiert sich selbst als Kunstwerk. So sind ihre persönlichen Handlungen Teil des Kunstwerks, der Schaffensprozess wird dokumentiert. Diese Art der Dokumentation ist insofern anders, als dass sie integrativer Bestandteil der Arbeit ist, mehr als die reine Dokumentation eines fertigen Produkts.
Quelle: Adrian Piper, Collected Writings 1965 – 2000