Reelle Zahlen und Kontinuum
„Canale Grande mit S. Simeone Piccolo“ bedeckt die ganze Leinwand. Und das ohne irgendwelche Unterbrechungen, also kontinuierlich. Doch wie leitet sich der Begriff des Kontinuums eigentlich her?
Ein Ausgangspunkt sind die rationalen Zahlen Q, welche nach dem 1. Cantorschen Diagonalschema abzählbar sind. Sie können also mit den natürlichen Zahlen N nummeriert werden. Die rationalen Zahlen sind aber nicht vollständig. So hat die Gleichung x2 =2 keine Lösung in den rationalen Zahlen, wie leicht bewiesen werden kann. Allerdings existiert diese Zahl offensichtlich, da dies genau die Länge der Diagonale eines Quadrates der Seitenlänge 1 ist. Die Vervollständigung der rationalen Zahlen sind die reellen Zahlen R. Diese sind überabzählbar, wie mit dem 2. Cantorsche Diagonalschema bewiesen werden kann:
Angenommen alle reellen Zahlen zwischen 0 und 1 seien in ihrer Dezimaldarstellung in einer (abzählbaren) Reihenfolge übereinander aufgeschrieben. Dies sieht in etwa so aus:
1. Zahl: 0,a11a12a13a14a15a16a17a18a19...
2. Zahl: 0,a21a22a23a24a25a26a27a28a29...
3. Zahl: 0,a31a32a33a34a35a36a37a38a39...
4. Zahl: 0,a41a42a43a44a45a46a47a48a49...
5. Zahl: 0,a51a52a53a54a55a56a57a58a59...
...
, wobei aij Ziffern aus der Menge {0,1,2,3,4,5,6,7,8,9} sind. Nun wird eine neue Zahl in folgender Weise konstruiert: Die erste Stelle nach dem Komma sei ungleich der ersten Stelle der 1. Zahl, a11 , wofür 9 verschiedene Möglichkeiten bestehen. Die zweite Stelle sei ungleich der zweiten Stelle der zweiten Zahl, a22. Die dritte Stelle sei ungleich a33 u.s.w.. Für diese Zahl 0,b1b2b3b4b5... gilt also, dass bi ungleich aii der i.ten Stelle der i.ten Zahl ist. Diese neue Zahl kommt also nicht in der bisherigen Aufzählung vor, im Widerspruch zu unserer Annahme, dass bereits alle reellen Zahlen zwischen 0 und 1 aufgeschrieben wären. Daher muss diese Annahme falsch sein, d.h. ich kann die reellen Zahlen nicht durchnummerieren. Es gibt also bedeutend viel mehr reelle als rationale (oder natürliche) Zahlen. Die Kontinuumshypothese besagt, dass die Menge der reellen Zahlen die kleinstmögliche überabzählbare Menge ist. Diese Aussage ist aber noch nicht bewiesen!
Im ersten Semester des Studiums der Technischen Mathematik werden in der Vorlesung „Analysis“ viele verschiedene Arten präsentiert, wie die reellen Zahlen konstruiert werden können. So sind andere mögliche Ausgangspunkte die Zahlengerade, die Nullstellen von Polynomen, die Mengenlehre, die Intervallschachtelung, ... . Dass all diese Zugänge äquivalent sind, also immer zu den reellen Zahlen führen, ist nicht immer trivial zu beweisen. In der Physik ist die Annahme, dass der Raum und die Zeit kontinuierlich sind, eine wesentliche Grundannahme.
Vorlesung: Mengenlehre der reellen Zahlen: URL: http://tuwis.tuwien.ac.at/zope/_ZopeId/93075046A20rnN7wF90/tpp/lv/lva_html?num=108004&sem=2006W