Selbstverwirklichung oder Shitjob?
Francesco Guardis Frau Maria Pagani arbeitete nicht in der Werkstatt der Familie mit. Als Frau des Bürgertums hatte sie Aufgaben der Nachwuchspflege und der gesellschaftlichen Repräsentation der Familie nach außen hin. Im Unterschied dazu waren Frauen unterer Gesellschaftsschichten immer schon in Arbeitsprozesse eingebunden. Beispielsweise verlief das Leben einer Bäuerin schon im 18. Jahrhundert ganz anders als das einer Frau des Bürgertums.
Geschlechterfragen sind immer auch mit ökonomischen Ungleichheiten und Klassenunterschieden verbunden. Unter Emanzipation wird in der Gegenwart leider allzu häufig die Befreiung der Frau von ihren häuslichen Pflichten verstanden und dabei übersehen, dass das vor allem das Problem weißer Mittelschichtsfrauen ist. Berufstätigkeit von Frauen ist bereits eine Selbstverständlichkeit, wenn es um schlechtbezahlte und unbeliebte Arbeit geht – ein Großteil dieser Arbeit wird von Frauen verrichtet.
Zu den Klassenunterschieden innerhalb Westeuropas kommen noch globale Zusammenhänge hinzu, die erkennen lassen, dass auch weltweit die meiste Arbeit von Frauen in der dritten Welt verrichtet wird, während Besitzverhältnisse auf der Seite zumeist männlich geführter Konzerne sind. Aber auch innerhalb der ersten kapitalistischen Welt lassen sich gravierende Unterschiede zwischen den Frauen der Mehrheitsgesellschaft und Frauen mit migrantischem Hintergrund beobachten. So sind Migrantinnen immer für bestimmte Arbeiten zuständig, die von anderen nicht verrichtet werden.
Unterste Positionen im Dienstleistungssektor, Pflegearbeit, Reinigung, aber auch Sexarbeit sind Arbeitsfelder, die meist unter katastrophalen Bedingungen an genau diese Frauen abgegeben werden. Manche Feministinnen stellen sogar einen Zusammenhang zwischen der Emanzipation der Frauen der Mittelschicht und Migrationsbewegungen – sofern eine Putzfrau aus Osteuropa die Hausarbeit übernimmt, kann die österreichische Hausfrau sich „emanzipieren“ und sich in einem Beruf selbst verwirklichen.
Der Zynismus einer solchen Analyse lässt erkennen, dass Änderungen der Geschlechterverhältnisse immer auch gesamtgesellschaftliche Kontexte berücksichtigen müssen. Emanzipationsprozesse können zuweilen auch sehr einseitig verlaufen und Ungleichheiten einfach auf eine andere Ebene verschieben.