Provokation in der Kunst
Provokation und Tabubruch spielen eine wichtige Rolle in der Kunst – wenn auch nicht in Francesco Guardis Werk, dessen Gemälde je nach Auftragslage gefertigt wurden und niemals als Provokation gedacht waren.
In den 1960er Jahren diente die Provokation im öffentlichen Raum der Verschreckung und Aufrüttelung des Bürgertums. Sie sollte die konservativen Grundwerte der Gesellschaft herausfordern und auf Sexismus, Rassismus und Homophobie aufmerksam machen. Feministische Aktionen wie das Tapp- und Tastkino von Valie Export konnten die anhaltende Diskriminierung von Frauen drastisch vor Augen führen. Die Künstlerin schnallte eine Box aus Pappkarton um ihre Brüste und forderte Passanten dazu auf, ihre Brüste zu befühlen. Damit wollte sie darauf verweisen, dass der weibliche Körper wie ein Objekt dem männlichen Blick unterworfen wird.
Jede Provokation ist aber auch mit einem Zurückschlagen der sich bedroht fühlenden dominanten Gruppen verbunden. In der Gegenwart wird die Reformulierung hegemonialer Positionen von einer breiten Öffentlichkeit als Provokation verstanden, man kann von einem (neo)konservativen Tabubruch sprechen. Mit einem gewissen Stolz verweisen einige Künstler auf ihre Zugehörigkeit zum weißen heterosexuellen Mainstream, so als wäre ihre gesellschaftliche Stellung mit der von Randgruppen vergleichbar und als müssten sie um Gleichberechtigung kämpfen.
Realpolitisch hat sich aber kaum etwas daran geändert, dass an internationalen Ausstellungen mehr Männer als Frauen teilnehmen, Migrantinnen kaum den Zugang zu Kunstuniversitäten finden und Homophobie auch in der tolerant erscheinenden Kunstwelt auf der Tagesordnung steht. Der Hinweis auf diese immer noch bestehenden Probleme wird oft als schulmeisterliche Ermahnung zur Korrektheit gelesen, zu wenig scheinen die Forderungen der 60er Jahre in das öffentliche Bewusstsein getreten zu sein. Die Provokation der Gegenwart ist die des „backlash“.
Diese Entwicklung lässt erkennen, dass künstlerische Strategien nicht per se „funktionieren“, sondern ständig erneuert und an den jeweiligen Kontext angepasst werden müssen. Die Provokationen der 60er Jahre können heute kaum das geeignete Mittel sein, wenn man Denkprozesse auslösen und Diskussionen anregen möchte. Es stellt sich die Frage, welche Art der Agitation in der Gegenwart Bewusstseinsänderung bewirken kann.