Manifeste der Avantgarde
Das Verfassen von Manifesten ist ein Kennzeichen vieler künstlerischer Strömungen der Moderne. Stilepochen wie das Barock, dem Francesco Guardi zugeordnet wird, werden im Gegensatz dazu erst im Nachhinein definiert. Bereits die Herkunft des Wortes Manifest lässt erkennen, dass es sich um eine Textsorte handelt, die von einer radikalen Sprache gekennzeichnet ist, kompromisslos und sehr körperlich – „manifestus“ bedeutet handgreiflich gemacht. Das Manifest ist eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten und keiner literarischen Gattung zugeordnet, am ehesten gleicht es einer feierlichen Rede oder einem Gedicht. Es ist nahe liegend, dass es als solches sehr gut geeignet ist, um den Beginn einer neuen künstlerischen Richtung zu proklamieren.
Das futuristische Manifest von Filippo Tomasso Marinetti ist 1909 im Le Figaro in Paris erschienen. Der Futurismus, eine avantgardistische Kunstbewegung in Italien, versucht einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Eine starke Zuwendung zu Technik und Geschwindigkeit, die die neuen Maßstäbe der Ästhetik bilden sollten, gipfeln in einer Kriegsverherrlichung, die die Futuristen letztendlich in eine starke Verbindung zum Faschismus bringt. „Die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, der Laufschritt, der Salto mortale, die Ohrfeige und der Faustschlag“ sind des Menschen neue Merkmale. Die Geburt der neuen Kunstrichtung soll auch die Geburt eines neuen Körpers sein. „Glühend, glanzvoll und freigebig“ ist der Künstler, er zieht in den Kampf um Kunst zu machen so wie der Soldat in den Krieg.
Der Dadaismus war ebenfalls eine Bewegung zur Erneuerung des Kunstbegriffs, gegründet 1916 von Hans Arp, Richard Huelsenbeck und Hugo Ball. Auch das dadaistische Manifest ist von einer leidenschaftlichen, körperbetonten Sprache gekennzeichnet. Der Dichter sucht seine Glieder unter dem Stoß des letzten Tages zusammen. Membra disiecta poetae – das Zusammensuchen der zerrissenen Körperteile des Poeten ist eines der ältesten Bilder über den Prozess des Kunstschaffens, die zerrissenen Glieder wieder zusammensetzen ist Kunst machen. „Verbissen in den Intellekt der Zeit, blutend an Händen und Herzen“ ist der Dadaist. Das Leiden Christi ist das Leiden des Künstlers. Die schöpferische Kraft des Künstlers ist gottgleich.
Die Frage, wie Kunst, Körper und Sprache zusammenhängen wird in der Vorlesung Morphologie an der Akademie der bildenden Künste Wien behandelt.