Grenzen der Haut
Venedig wird aufgrund seiner aufwendigen Fassaden oft als Kulissenstadt bezeichnet. Die Fassade eines Hauses ist sein Gesicht, seine Haut, sie verbirgt sein Inneres und präsentiert es gleichzeitig nach außen hin.
Die Haut ist das letzte von der Wissenschaft definierte Organ. Erst im 18. Jahrhundert entwickelt sich die Dermatologie zur eigenständigen Disziplin der Medizin. Gleichzeitig beginnt auch die Entwicklung des Bürgertums. Der Mensch beginnt sich zunehmend als im Körper wohnend zu betrachten, das geschlossene Körperkonzept erreicht seinen Höhepunkt im 19. Jahrhundert mit dem völligen Rückzug des Bürgertums ins Private. Es entsteht ein makelloses Bild der Haut, das bis in die Gegenwart hineinwirkt.
In der Kunst kennzeichnet es die Distanz, in der sich das Kunstwerk zum/zur BetrachterIn befindet. Durch klare Aufteilung in Werk (bzw. Bühne) und Publikum soll Kommunikation in einem bestimmten Rahmen stattfinden: das Bild hängt an der Wand, die Skulptur steht im Raum, das Theaterstück findet auf der Bühne statt. Erst durch das Aufkommen der ersten performativen Gesten in der Kunst wird der Zugang zum Publikum auf eine andere Weise gesucht, die starre Grenze zum/zur BetrachterIn wird aufgebrochen, die Haut soll nicht mehr die unantastbare Grenze des Menschen sein, vielmehr durchlässig und aufnahmefähig.
Als Vorläufer späterer performativer Arbeiten wird Jackson Pollocks Malerei der 1950er Jahre gesehen, auch „Action Painting“ genannt. Pollock legt seine Leinwände auf den Boden und überschüttet sie mit Farbflecken. Das so genannte „Dripping“ wertet die Tätigkeit der Malerei auf, der Prozess des Malens ist höher zu bewerten als das Endprodukt. Aus heutiger Sicht sind deswegen auch die Videodokumentationen des malenden Pollock weitaus interessanter als seine Bilder. Das Kunstwerk existiert nicht hinter der Fassade des Künstlers, sondern in direkter, körperlicher Kommunikation mit dem Publikum.
Mehr dazu gibt es in der Lehrveranstaltung „Performative Techniken“ an der Akademie der bildenden Künste.