Es ist ein Junge!
“Es ist ein Junge!” - war wahrscheinlich der erste Satz, der nach Francesco Guardis Geburt ausgesprochen wurde. “Es ist ein Junge!” bezeichnet nicht nur das Geschlecht eines Körpers, dieser Satz stellt das Geschlecht auch gewissermaßen her. Wie ist das zu verstehen?
John Austin begründet in seiner Vorlesungsreihe “How to do Things with Words” die Sprechakttheorie. Darin beschreibt er eine neue Funktion von Sprache, diese kann die Eigenschaft besitzen, Dinge, die sie beschreibt, auch herzustellen und dadurch zu einem performativen Akt zu werden. “Es ist ein Junge!” löst eine Kette von immer wiederkehrenden Zuschreibungen aus, die das Geschlecht Francesco Guardis sein Leben lang von neuem bestätigen und aufrechterhalten. Die ursprüngliche Bezeichnung des Geschlechts wird somit zu einer Realität.
Der performative Charakter von Sprache wird auch von Judith Butler in ihrem Werk “Hass spricht” aufgegriffen. Sie weist darauf hin, dass Beleidigungen sich eben aufgrund der erzeugenden Eigenschaft von Sprache als Verletzungen tief in das Bewusstsein der Betroffenen einprägen können. Degradierende Bezeichnungen für Frauen wie slut, bitch oder die deutsche Entsprechung “Schlampe” sind also nicht bloß “Wörter”, sie haben negative Effekte auf die Selbstwahrnehmung von Frauen.
Butler stellt aber auch fest, dass die Bedeutung von Sprache durch einen einzigen Sprechakt nicht grundsätzlich festgelegt ist. So ist es durch selbstbewusste Aneignung bestimmter Schimpfwörter möglich, ihre Bedeutung zu ändern. Ein Beispiel für eine solche Umbesetzung ist das Wort “Lesbe”, das noch vor einiger Zeit als schwere Beleidigung gesehen wurde, aber durch die Lesbenbewegung der letzten Jahre erfolgreich in seiner Bedeutung verändert wurde. Auch “queer”, ursprünglich eine Bezeichnung für alles sexuell Abnorme, bezeichnet heute eine Bewegung, die nicht nur für lesbisch oder schwul steht, sondern für alle Formen von Sexualität, die nicht in heteronormative Muster hineinpassen.
John Austin, How to do Thing with Words, Oxford, 1955
Judith Butler, Hass spricht – Zur Politik des Performativen, Frankfurt am Main, 2006